"Der Papst, der geschwiegen hat? Pius XII. und der Holocaust"
Vortrag von Prof. Dr. Dr. h. c. Hubert Wolf
Universität Münster
Katholisch-Theologische Fakultät
Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte
Hat Papst Pius XII. zum Holocaust tatsächlich geschwiegen? Oder hat er in seiner Weihnachtsansprache am Heiligen Abend 1942 im Radio tatsächlich – wenn auch kaum verständlich – Stellung bezogen? Nach der Öffnung der vatikanischen Archive im März 2020 war die Hoffnung groß, die Textgenese vom ersten deutschen Entwurf aus der Feder Gustav Gundlachs bis zur gedruckten italienischen Endfassung nachzuvollziehen.
Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer mit in die Entstehungsgeschichte der umstrittenen Rede hinter die hohen Mauern des Vatikans. Auf der Suche nach dem ursprünglichen Autor der Passage, die auf die Shoah bezogen werden kann, und den Umständen, die den Papst dazu brachten, seine lang andauernde Zurückhaltung aufzugeben, stößt er nicht nur auf verlegte, sondern auch bewusst unterschlagene Dokumente.
Hubert Wolf, Kirchenhistoriker und Leiter des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, steht wie kein anderer für die Erforschung der vatikanischen Archive. Berühmt geworden ist er vor allem für seine Arbeiten zu Inquisition und Indexkongregation, zu deren Archiven er bereits 1992, Jahre vor der offiziellen Öffnung der Bestände, Zugang erhielt. Neben den innovativen historiographischen Ansätzen ist er als Wissenschaftskommunikator einer breiten Öffentlichkeit durch zahlreiche Radio- und Fernsehbeiträge bekannt geworden. Zudem zieht er Konsequenzen aus seiner kirchenhistorischen Arbeit für gegenwärtige Debatten und sieht in der Tradition der Kirche ein ungeheures Potenzial für notwendige Reformen. Aktuell arbeitet er gemeinsam mit seinem Team im Großprojekt „Asking the Pope for Help“ Bittbriefe jüdischer Verfolgter aus dem Zweiten Weltkrieg auf, die in den vatikanischen Archiven lagern. In einer Online-Edition werden sie sowohl der Forschung als auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Sein Werk ist vielfach ausgezeichnet worden; so ist er Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises (2003) und des Communicator-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2004), des Gutenberg-Preises der Stadt Mainz und der internationalen Gutenberg-Gesellschaft (2006) sowie des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa (2021). Er war Fellow am Historischen Kolleg München sowie am Wissenschaftskolleg Berlin.
Der Eintritt ist frei.
Termin: 21. Juni 2024, 19:30 Uhr
Veranstaltungsort: Atelier Rudolf Kurz, Spitalhof 1